title         | Mobilisierung von Recht*
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title         | Über die Wahrscheinlichkeit des Gangs zum Gericht, die Chance des Erfolgs
              | und die daraus folgenden Funktionen der Justiz
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author        | Erhard Blankenburg
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abstract      | Zusammenfassung: Auch wenn es rechtliche Regeln für viele unserer sozialen Beziehungen gibt, ist
              | es doch unwahrscheinlich, daß man sich in alltäglichen Sozialbeziehungen auf diese beruft. Bei den
              | meisten Konflikten sind soziale Lösungsversuche die Regel, das Einholen von Rechtsrat und das
              | Anrufen von Gerichten die Ausnahme. Wahrscheinlicher wird die Mobilisierung von Recht und
              | Gerichten mit größerer sozialer Distanz wie etwa in einmaligen und anonymen Sozialbeziehungen.
              | Für den einzelnen unvermeidbar ist sic dort, wo der Konfliktgegner seinerseits Recht mobilisiert.
              | Jedoch wird auch nach Beschreiten des Rechtswegs immer noch die Mehrzahl aller Prozesse durch
              | außergerichtliche Einigung oder gerichtlichen Vergleich beendet. Empirische Daten zeigen, daß
              | die Chance von rechtlichen oder alternativen Lösungswegen, die Kompromißwilligkeit oder Hart­
              | näckigkeit der Parteien und der Erfolg eines Klägers weitgehend von der Konfliktkonstellation des
              | jeweiligen Streitgegenstandes abhängig ist.
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abstract      | Summary: As long as there is no third party surveilling obedience to legal norms, it is up to the
              | parties to invoke law for themselves. But in many situations which are legally relevant, those
              | involved do not mobilize lawyers and courts. The likelihood of legal action increases with social
              | distance among the (potential) parties, especially in single event relations and in relations with
              | strangers. The paper demonstrates empirically that in the majority of cases those involved look for
              | informal ways of resolving conflicts, it shows in which areas they use quasi-legal institutions, and
              | under which rare circumstances they go to court. Even here giving in or settling the conflict is more
              | frequent than a judicial decision. Whether parties find a compromise and which are their chances
              | of success varies with the issue at stäke.
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text          | 1. Modelle rechtlicher Normen
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text          | Für Soziologen in der Tradition Geigers ist die Wirksamkeit von Recht erst an den
              | Fällen der Nichteinhaltung erkennbar, daran, daß seine Normen nicht befolgt werden
              | (text omitted for legal reasons)
              | versicherung in Zusammenarbeit mit Jann Fiedler und zur Arbeitsgerichtsbarkeit mit Siegfried
              | Schönholz und Ralf Rogowski entstanden. Ihnen danke ich für vielfältige Anregung und Kritik.
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meta          | Zeitschrift für Rechtssoziologie 1 (1980), Heft 1, S. 33-64       © Westdeutscher Verlag, Opladen
              | 34                                     Erhard Blankenburg
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text          | deshalb seinen Begriff von ,Recht* daran fest» ob im Falle seiner Nichtbefolgung eine
              | Sanktion erfolgt1. Nicht die Einhaltung der Norm belegt ihre Geltung, sondern die
              | (text omitted for legal reasons)
              | Diebstahl von oder aus Kraftfahrzeugen, noch extremer bei Diebstahl von Fahrrä­
              | dern oder Mopeds. In solchen Fällen erfolgt eine Anzeige bei der Polizei oft nicht, um
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ref           | 1    Geiger 1964, insbesondere S. 65—83.
              | 2    Vgl. Feest/Blankenburg, 1972. Die Konsequenz einer größeren Dunkelziffer bei den von der
              | Polizei selbst entdeckten Straftaten entwickle ich ausführlicher in meinem Beitrag über
              | ,Nichtkriminalisierung als Struktur und Routine', 1976.
              | 3     Angaben aus einer Befragung von Peter MacNaughton-Smith und Richard Rosellen zur .Be­
              | reitschaft zur Anzeigeerstattung' Manuskript Max-Planck-Institut für Strafrecht, Freiburg
              | 1978. Der ausführliche Forschungsbericht von Richard Rosellen erscheint in Kürze unter dem
              | Titel .Private Verbrechenskontrolle — eine empirische Untersuchung zur Anzeigeerstattung',
              | Berlin, voraussichtlich 1980.
              | Mobilisierung von Recht                         35
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text          | den Prozeß der Sanktionierung und damit Effektivierung von Recht in Gang zu setzen,
              | sondern lediglich um die bürokratischen Voraussetzungen für den Anspruch bei einer
              | (text omitted for legal reasons)
              | diese das Modell der autoritativen Normsetzung mit dem der Regelung von Sozialbe­
              | ziehungen durch Vertragsnormen.
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ref           | 4   Vgl. Blankenburg/Sessar/S reffen, 1978, S. 66-85.
              | 5   Black 1973, S. 125 ff.
meta          | 36                                   Erhard Blankenburg
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text          | Im Rahmen juristischer Analysen wird an die Wirksamkeit solcher Normen die Frage
              | gestellt, wie weit die zuständigen Gerichte in ihrer Spruchpraxis solche Schutzrechte
              | (text omitted for legal reasons)
              | licher und komplexer eine Sozialbeziehung ist und je mehr die Beteiligten ein Interesse
              | an ihrer Aufrechterhaltung haben6. Gerichte können in solchen Fällen allenfalls die
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              | 
ref           | 6    Zur höheren Wahrscheinlichkeit der Normierung von Verhalten in weniger komplexen Bezie­
              | hungen vgl. die Konflikttheorie von Gessner 1976, insbesondere S. 170—183.
meta          | Mobilisierung von Recht                          37
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text          | Bedingungen des Abbruchs von Sozialbeziehungen bestimmen, kaum jedoch deren
              | fortlaufende Interaktion regeln. Höher ist die Wahrscheinlichkeit des Anrufens von
              | (text omitted for legal reasons)
              | Überzeugung, und meist in der Situation auch nicht die der Vermeidung. Nicht sehr
              | weit davon entfernt sind die Situationen, in denen man von einem Vermieter, Verkäu­
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ref           | 7   Zum Konzept der .Thematisierung von Recht* vgl. Luhmann 1980, S. 99—112.
meta          | 38                                    Erhard Blankenburg
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text          | fer oder Arbeitgeber unter Hinweis auf rechtliche Sanktionen zur Zahlung oder zu be­
              | stimmtem Verhalten aufgefordert wird. Auch hier ist die Situation von dem Gegner
              | (text omitted for legal reasons)
              | scheinlichkeit, mit der diese explizit gemacht wird. Nützlich ist für die Beurteilung die­
              | ser Wahrscheinlichkeit die Unterscheidung von Konfliktsituationen in:
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text          | — laufenden, persönlichen Sozialbeziehungen;
              | — gelegentlichen oder anonymen Sozialbeziehungen, die möglicherweise erst aufgrund eines —
              | meist einmaligen — Ereignisses als Konfliktbeziehung entstehen.
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              | 
              | 
              | 
ref           | 8    Ausführlicher bei Gessner 1976
meta          | Mobilisierung von Recht                                     39
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text          | Selbstverständlich gibt es zwischen diesen beiden als Extremtypen viele Übergänge von
              | .Gelegenheitsbeziehungen4, die sich zu dauerhaften entwicklen, oder von persönlichen
              | (text omitted for legal reasons)
              | gegebenenfalls Einschaltung des Betriebsrats usw.);
              | ~~ die Klage vor dem Arbeitsgericht.
ref           | 9   Vgl. Schönholz 1980.
meta          | 40                                      Erhard Blankenburg
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text          | Im arbeitsrechtlichen Konflikt kann also der Arbeitgeber mit der Kündigung Fakten
              | schaffen, auf die dann der Arbeitnehmer mit dem Gang zum Gericht antworten muß.
              | (text omitted for legal reasons)
              | beim Eheverhältnis: hier besteht ein Rechtszwang, das heißt selbst bei einverständ­
              | licher Trennung kann nur das Gericht diese zu einer rechtskräftigen Scheidung
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              | 
ref           | 10   Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 64 ff.
              | 11   Hilden 1976, S. 64 ff.
              | 12   Koch 1975, S. 75, der allerdings nur streitige Urteile und Vergleiche untersucht hat.
              | Mobilisierung von Recht                                   41
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text          | machen. Dem Gang zum Gericht kann ein langer Prozeß der Zerrüttung vorausgehen,
              | innerhalb dessen die Drohung mit rechtlichen Mitteln immer schon eine Drohung mit
              | (text omitted for legal reasons)
              | flikte innerhalb eines fortdauernden Arbeitsverhältnisses regeln14.) Im Mietverhält­
              | nis ist der Anteil von Klagen innerhalb einer fortdauernden Beziehung größer15. Hier
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              | 
ref           | 13   Für Angaben der Zählkartenstatistik für die Familiengerichte siehe: Statistisches Bundesamt
              | Wiesbaden, Fachserie 10 (Rechtspflege) Reihe 2.1, Tabelle 10, Wiesbaden 1978.
              | 14   Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 78 ff.
              | 15   Steinbach 1979 hat in einer Erhebung von 1144 Amtsgerichtsprozessen in der Bundesrepublik
              | ohne Berlin in den Jahren 1974—1976 ein Verhältnis von 1 Räumungsklage je 1,2 Forderungs­
              | klagen, in Berlin allerdings von 1 Räumungsklage je 0,12 Forderungsklagen ermittelt. Im fol­
              | genden auch als GMD-Erhebung zitiert.
meta          | 42                                 Erhard Blankenburg
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text          | wie beim Arbeitsgericht steigt die Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Auseinander­
              | setzung innerhalb fortbestehender Sozialbeziehungen mit deren Anonymität: in Klein­
              | (text omitted for legal reasons)
              | Anwälten und den .Parteien hinter den Parteien*, den Gang des Prozesses zu bestim­
              | men. Nur wenn es um einen versicherungsmäßig nicht gedeckten Eigenschaden oder
              | Mobilisierung von Recht                                 43
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text          | um die Höhe der Entschädigung bei Personenverletzungen geht, haben die Parteien
              | ein besonderes Interesse am Ausgang des Prozesses. Ansonsten können die Betei­
              | (text omitted for legal reasons)
              | auf die andere Seite geschoben werden: etwa, wenn der Rest des Kaufpreises oder die
              | Entlohnung (im Falle eines Werkvertrages) teilweise vorcnthalten wird. Auch hier gilt,
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              | 
ref           | 16   Johnson 1979 berichtet von dem erfolgreichen Versuch einer Unfall-Schadensregulierung
              | ohne Berücksichtigung einer Schuldzuschreibung in Neuseeland (no fault accident compensa-
              | tion), S. 90 ff.
meta          | 44                                      Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | daß die Mobilisierung von Recht jeweils demjenigen zugemutet wird, der Leistungen
              | vom anderen einfordern muß: wer im physischen Besitz einer Sache ist, sei dies ein
              | (text omitted for legal reasons)
              | Vorteil. So kommt es, daß bei Kaufverträgen überwiegend (zu 73 %) Firmen als Kläger
              | auftreten, nur zu 3 % klagt ein Privater gegen eine Firma17.
blank         | 
              | 
text          | Tabelle 1. Verteilung der Parteienkonstellation bei Prozessen um Kaufverträge am Amtsgericht
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text          | Kläger                                 Beklagter
              | Privatperson               Firma
              | Privatperson                          24 %                    3%                 27%
              | Firma                                 54%                    19%                 73 %
              | 78 %                   22%                100%
blank         | 
              | 
text          | Quelle: GMD-Erhebung, Repräsentativ für Amtsgerichte BRD, 1976.
blank         | 
              | 
              | 
text          | 2.1.3 Gegenwehr gegen rechtliche Schritte anderer
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text          | Nicht immer ist die Entscheidung über die Thematisierung von Recht einem selbst
              | überlassen. Häufig wird map mit einem vollendeten Schritt zur Mobilisierung von
blank         | 
              | 
ref           | 17    Steinbach 1979, S. 66 ff.; Blankenburg/Blankenburg/Morasch 1972, S. 82 ff.
meta          | Mobilisierung von Recht                               45
blank         | 
text          | Recht durch den anderen konfrontiert. Wie wir gesehen haben, kann dies letztlich auf
              | eigenes Verhalten zurückzuführen sein, aber bei vielen Herausforderungen bleibt zu­
              | (text omitted for legal reasons)
              | auf den Umgang mit Behörden jeweils eine Liste von Konflikten vorgelegt, die zwar
              | von Geringfügigkeiten bis zu existenziell wichtigen Problemsituationen reichten, die
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              | 
              | 
              | 
ref           | 18   Projektbericht ,Rechtshilfebedürfnisse sozial Schwacher*, (Blankenburg/Gorges/Reifner;
              | Ticmann). Befragt wurden im Januar bis März 1979 je eine Person in 835 Haushalten West­
              | berlins. Veröffentlichung ist vorgesehen für Ende 1980.
meta          | 46                                Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | man unabhängig davon jedoch alle als Rechtsfälle behandeln könnte. In jedem der
              | Bereiche berichteten etwa zwei Drittel der Befragten aus ihrer Erfahrung in den
              | (text omitted for legal reasons)
              | als auch individuell vertreten. Mietvereine ebenso wie Gewerkschaften üben Schlich-
              | Tabelle 2: Rechtliche und außerrecbtlicbe Lösungsversuche bei Problemen in vier Bereichen
blank         | 
text          | Es haben Probleme genannt            davon haben:
blank         | 
text          | eine Beratung
              | aufgesucht
              | nichts          Kontakt mit         darunter:                             einen Ge­ beim nächsten
blank         | 
              | 
              | 
              | 
text          | Mobilisierung von Recht
              | unternommen     Gegener             .mit Erfolg*    Allg.      Rechts­    richtspro­ Mal würden vor
              | N     nachgegeben     aufgenommen         sich geeinigt   Beratung   Beratung   zeß geführt Gericht gehen
              | — mit Behörden               502          42%       persönlich: 29 %         4%             1 %       8%          3%          13 %
              | förmlich: 26 %
              | — als Verbraucher            518          26%                     49%       16%            6%        12 %         2%           13 %
              | — als Mieter                 543          23 %                    48%       13 %          27 %       11 %         3%            7%
              | — als Arbeitnehmer           369          24%        persönlich                            15 %        5%         7%           10%
              | geeinigt               22%
              | betriebliche In­
              | stanzen ange­
              | rufen                  43 %
blank         | 
ref           | Quelle: Eigene Befragung in West-Berlin 1979, Zu falls auswähl aus allen Haushalten mit Deutschen.
              | Mehrfachnennungen, % jeweils bezogen auf Personen, die im jeweiligen Bereich ein Problem nennen.
meta          | 48                                 Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | tungsfunktionen aus, die rechtliche Auseinandersetzungen vermeiden, und sie bieten
              | auch Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht für die individuelle Rechtsdurch­
              | setzung an. Daß 15 % bzw. 27 % der Befragten solche Beratungsstellen aufgesucht
              | (text omitted for legal reasons)
              | vationsbarrieren und Schwellen, die vor dem Zugang zu Gericht, oder auch zu einer
              | Rechtsberatung liegen. Viel ist darüber geschrieben worden, daß solche Barrieren
meta          | Mobilisierung von Recht                                  49
blank         | 
text          | desto besser zu überwinden sind, je höher die Schulbildung ist, je mehr Kontakt zum
              | Recht und auch zu Rechtsanwälten besteht und daß, da das Angebot von Rechtsbera­
              | (text omitted for legal reasons)
              | affektiven Momenten überlagert sein (,Dem zeige ich es, gleich, was es koste4), jedoch
              | sollte man hier bei Unterstellung eines rationalen Kalküls erwarten, daß die Fortnahme
blank         | 
              | 
ref           | 19   Explizit bei Baumgärtei 1976, S. 113-128.
              | 20   Laut einer GMD-Erhebung aus der Zählkartenstatistik wurde in Baden-Württemberg 1978 in
text          | 25,6 % aller Scheidungssachen vor dem Familiengericht Armenrecht beantragt, 35,6 % bei
              | Unterhaltsklagen. 1976 (nach alten Familien recht) sind die Anteile 14,2 % bei den Schei­
              | dungsprozessen und 42,79 % bei den Unterhaltsklagen. Zum Vergleich: Bei Mietsachen wird
              | in etwa 2 % das Armenrecht beantragt (GMD-Erhebung), bei Zivilprozessen vor dem Amts­
              | gericht insgesamt (laut Zählkartenstatistik) 0,4 % (mündliche Mitteilung von Jörg Dotter­
              | weich).
ref           | 21   Projektbericht .Rechtsschutzversicherung* (Blankenburg; Fiedler), Veröffentlichung voraus­
              | sichtlich Mitte 1980.
meta          | 50                                    Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | des finanziellen Kostenrisikos durch die Rechtsschutzversicherung die Prozeßwahr­
              | scheinlichkeit erhöht.
              | (text omitted for legal reasons)
              | durch eine Versicherung erhöht also in erster Linie im Bereich der anonymen Sozial­
              | beziehungen die Wahrscheinlichkeit der Mobilisierung von Recht. In anderen Rollen-
blank         | 
              | 
text          | Tabelle 3: Kontakte mit Gerichten/Anwälten und Rechtsschutzversicherung
blank         | 
              | 
              | 
text          | Quelle: Eigene Befragung in Berlin (West) 1979, Zufallsauswahl aus allen Haushalten mit Deut­
              | schen.
meta          | Mobilisierung von Recht                        51
blank         | 
text          | bereichen etwa als Verbraucher, als Mieter oder als Arbeitnehmer beobachten wir bei
              | Rechtsschutzversicherten zwar auch eine höhere Inanspruchnahme von Rechtsanwäl­
              | (text omitted for legal reasons)
              | Recht: dort wo bestehende Rechtsansprüche bislang überwiegend im Dunkelfeld der
              | Nicht-Inanspruchnahme verblieben sind, entstehen mit zunehmender Mobilisierung
blank         | 
ref           | 22   Vgl. auch Reifner/Gorges 1980.
              | 23   Reifner 1979.
meta          | 52                                    Erhard Blankenburg
blank         | 
              | 
text          | für die Rechtsdogmatik neuartige Fragestellungen, die sowohl Rechtsprechung als
              | auch Rechtsetzung in Bewegung setzen können. Aus diesem Grund kann man erwar­
              | (text omitted for legal reasons)
              | schwacher Position einen Prozeßerfolg zu erreichen hofft. Die wenigen empirischen
              | Arbeiten zum Prozeßverhalten, die es bislang gibt, zeigen die Überlegenheit von Par­
blank         | 
ref           | 24   Klassisch bei Carlin/Howard/Messinger 1967.
meta          | Mobilisierung von Recht                                 53
blank         | 
              | 
text          | teien, die häufig vor Gericht stehen und die damit ihre Verfahrensmöglichkeiten fak­
              | tisch geschickter einsetzen und ihre Gewinnchancen besser kalkulieren können25.
              | Je größer die Ungleichheit dieser Kompetenz zwischen den Parteien, desto wahrschein­
              | (text omitted for legal reasons)
              | hat der Kläger die Forderung aufgegeben26.
              | Hinter den vorzeitigen Erledigungen verbergen sich also Aushandlungsprozesse, in
              | denen die Tatsache der gerichtlichen Klage ein Signal der Klägerpartei bedeutet, daß
blank         | 
ref           | 25   Grundsätzlich vgl. hierzu den klassischen Beitrag von Galanter 1974, S. 95—160. Die grös­
              | seren Chancen von Firmen, insbesondere bei der großen Zahl von vorstreitigen Erledigungen
              | zeigt Sarat 1976, S. 339-375.
              | 26   Bender/Schumachcr 1980, S. 138.
meta          | 54                                      Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | Tabelle 4: Ausgang von Prozessen vor verschiedenen Gerichten
blank         | 
              | 
              | 
text          | Quellen:    1 GMD-Erhebung, Amtsgerichte BRD 1971
              | 2 Eigene Erhebung, Arbeitsgericht Berlin, Gerichtsregister 1976
              | 3 Zählkarten-Statistik, Statist. Bundesamt: Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 2, 1 (Zi­
              | vilgerichte), 1971 und 1978
blank         | 
              | 
text          | sie auch vor einer Mobilisierung der Gerichte nicht zurückschreckt. Allein diese Dro­
              | hung genügt häufig, um den Konflikt beizulegen. Auffällig ist, daß solche Erledigungen
              | (text omitted for legal reasons)
              | Vergleichshäufigkeit ist hier (genau umgekehrt zum Verkehrsprozeß) eine Folge der
              | eindeutigen Rechtsposition der Kläger(innen). Bei Mietforderungen läßt sich aus der
blank         | 
              | 
text          | Tabelle 5: Erfolg des Klägers im Zivilgericbt vor dem Amtsgericht nach Prozeßgegenstand
blank         | 
text          | Voller          Voller Erfolg
              | Gesamterfolg (alle    im streitigen
              | Erledigungsarten)        Urteil
              | Zivilprozessc um private Schulden1
              | (alle Kläger)                                                    64 %               48%
              | Zivilprozesse um private Schulden1
              | (nur natürliche Personen als Kläger)                             46 %               36%
              | Zivilprozesse nach Verkehrsunfall2                                   23 %               19 %
              | Unterhaltsforderungen, Kindschaftssachen                             67 %               64%
              | Mietprozesse2 — Räumungsklagen                                       88%                65 %
              | — sonstige Mietprozesse                              44%                41 %
blank         | 
text          | Erfolg des Klägers vordem Arbeitsgericht3
blank         | 
text          | Gesamterfolg mit        streitiges
              | bzw. ohne Vergleich4        Urteil
              | Kündigungsklagen                                                69 bzw. 19              49%
              | Klagen wegen Arbeits- oder Urlaubsentgelt                       78 bzw. 41              65 %
blank         | 
              | 
text          | Quellen:     1   Bender/Schumacher, Amtsgericht Stuttgart
              | 2   GMD-Erhebung, Amtsgerichte BRD 1971
              | 3   Eigene Erhebung, Arbeitsgericht Berlin, Gerichtsregister 1976.
              | 4   .Erfolg* wurde an den Zivilgerichten durchgehend gemäß dem Kostenbeschluß des
              | Gerichtes operationalisiert, beim Arbeitsgericht wurde die Eintragung in die Regi­
              | sterbücher über .Gesamterfolg* übernommen. Dies schließt bei Kündigungsklagen
              | auch die Festsetzung einer Abfindung für den Kläger ein. Entsprechend kann man
              | hier alle Vergleiche ebenso als Erfolg werten (d. h. man unterstellt, daß Kündigungs­
              | kläger den Anspruch auf Wiedereinstellung nur formal verfolgen). Macht man diese
              | Unterstellung nicht, müßte man die Vergleiche vor dem Arbeitsgericht — analog
              | der Operationalisierung beim Zivilgericht — als Teilerfolg, also nicht als vollen Ge­
              | samte rfolg einstufen.
blank         | 
              | 
              | 
ref           | 27     Steinbach 1979, S. 96 ff, vgl. auch Blankenburg/Blankenburg/Morasch 1972, S. 89, Fn. 17,
meta          | 56                                    Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | Literatur keine Erklärung für die Hartnäckigkeit der Parteien bis zum streitigen Urteil
              | belegen: die Vermutung liegt nahe, daß ähnlich wie bei Arbeitsgerichtsprozessen aus
              | (text omitted for legal reasons)
              | der Hälfte der Scheidungsfälle lediglich in seiner notariellen Funktion bemüht, um die
              | zwischen den Parteien erreichte Konvention mit Rechtskraft zu versehen.
blank         | 
              | 
ref           | 28   Reifner 1978.
              | 29   Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 102 ff.
meta          | Mobilisierung von Recht                                 57
blank         | 
text          | Ebenso wie den Selektionsprozeß vor der Bemühung von Gerichten kann man auch
              | das Verfahren selbst als einen Filter darstellen, der eine Vielzahl von Beilegungsmög­
              | (text omitted for legal reasons)
              | ten sowohl im streitigen Urteil als auch insgesamt ein wenig häufiger als die Kläger.
              | Wenn man nach einem Streitgegenstand sucht, bei dem das Gerichtsverfahren einem
blank         | 
              | 
ref           | 30   Vgl. zum .Verrechtlichungs’begriff meinen Beitrag über: Recht als gradualisiertes Konzept
              | 1980, S. 83—98.
              | 31   Steinbach 1979, S. 35; Bender/Schumacher 1980, S. 24 und S. 49.
              | 32   Wanner 1975, S. 293—306 hebt dies deutlich hervor, ebenso Bender/Schumacher 1980, S.
              | 72 ff.; sowie Galanter 1974; Sarat 1976.
meta          | 58                                    Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | Lotteriespiel gleicht, dann kommt die Auseinandersetzung nach einem Verkehrsun­
              | fall diesem Modell am nächsten.
              | Unterhaltsprozesse und Räumungsklagen dagegen weisen sowohl bei den vorzeitigen
              | Erledigungen wie im streitigen Urteil höhere Klägererfolge auf. Hier hat der Gerichts­
              | (text omitted for legal reasons)
              | zuzumuten, der die Sozialbeziehung auflösen will, schützt zwar prinzipiell die Sozial­
              | beziehung, hebt jedoch nicht die Möglichkeit des sozial Stärkeren auf, eine solche Auf­
              | lösung mit Hilfe des Rechts durchzusetzen.
blank         | 
              | 
text          | 2.3 Prozeßausgang, Erfolgswahrscheinlichkeit und die Funktionen der Gerichte
blank         | 
text          | Ausgang und Erfolgswahrscheinlichkeit von Gerichtsprozessen lassen sich nur schwer
              | kausal erklären, da sie selbst reflexiven Mechanismen unterliegen. Auch die Beteilig­
blank         | 
ref           | 33    Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 78 ff.
meta          | Mobilisierung von Recht                             59
blank         | 
text          | ten, vor allem die prozeßerfahrenen und die Rechtsanwälte antizipieren ihre Erfolgs­
              | aussichten und sie können entsprechend ihrer Einschätzung der Rechtslage und ihrer
              | Erfahrung mit Verfahrensabläufen einschätzen, ob sich eine Klage lohnt oder nicht.
              | (text omitted for legal reasons)
              | nur fingiert, da das Verfahren hier in intime Erfahrungsbereiche hineinreicht; vor dem
              | Arbeitsgericht dagegen kommen Sozialbeziehungen zur Sprache, die leichter vor Drit­
              | ten ausgetragen und öffentlich behandelt werden können. Hier hat daher typisch der
meta          | 60                                    Erhard Blankenburg
blank         | 
text          | Richter die größte Chance, in seiner Funktion als Vermittler aufzutreten. Vereinfacht
              | kann man aus den beiden Dichotomien: der eindeutigen oder unsicheren Vorherseh­
              | barkeit der Rechtslage und der Einverständlichkeit oder Strittigkeit zwischen den Par­
              | teien ein Vierfelderschema aufstellen, dem grundsätzliche Typen von Gerichtsfunktio­
              | nen entsprechen:
blank         | 
              | 
text          | Tabelle 6; Funktionen von Gerichtsprozessen für die Parteien
blank         | 
text          | Vorhersehbarkeit des Verfahrensausgangs
              | sicher                      unsicher
              | Prozeßziel   einverständlich    Quasi-notarielle Funktion      Vermittelnde Funktion
              | der Parteien    strittig          Rechtsdruchsetzungsfunktion     Entscheidungsfunktion
blank         | 
              | 
              | 
              | 
text          | Allen vier Funktionen kann man bestimmte Streitgegenstände typologisch zuordnen,
              | jedoch können sie alle grundsätzlich in jedem Gerichtsverfahren auftreten. Beobach­
              | tungen von Verfahrensabläufen zeigen34, daß Richter in ihrem Roll en verhalten typisch
              | zwischen diesen Funktionen hin- und herwechseln, wobei sie einmal die Unsicherheit
              | (text omitted for legal reasons)
              | alleine der Richter als Entscheider. Auf diese Funktion bezieht sich auch die These der
              | »Legitimation durch Verfahren', die in der Verstrickung der Parteien in eine verfah­
              | rensmäßig geregelte Auseinandersetzung eine Chance der Akzeptanz von Rechtsent­
blank         | 
              | 
ref           | 34     Ebenda, S. 138-186.
meta          | Mobilisierung von Recht                             61
blank         | 
text          | Scheidungen sieht35. Allerdings bezieht sich eine solche Theorie nur auf einen geringen
              | Teil der Fälle, die vor Gericht abgehandelt werden. Betrachtet man den Geschäftsan­
              | fall vor allem der erstinstanzlichen Gerichte, dann ist der einseitige Gebrauch von
              | Recht zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Willen anderer die am häufigsten
              | (text omitted for legal reasons)
              | daß die (potentiellen) Parteien in Gerichtsprozessen die Chancen ihres Erfolges antizi­
              | pieren können und daß sie die Möglichkeiten wahrnehmen, aus der Eskalation von
blank         | 
ref           | 35   Luhmann 1969.
text          | O\
blank         | 
              | 
              | 
              | 
text          | Erklärungsmodell der Variablen für die Mobilisierung von Recht
blank         | 
              | 
              | 
              | 
text          | Erhard Blankenburg
              | Mobilisierung von Recht                                  63
blank         | 
text          | weiterer Verrechtlichung „auszusteigen“. Das Modell von Variablen, von denen „The­
              | matisierung von Recht“ und „Mobilisierung von Gerichten“ abhängen, mag ihnen
              | (text omitted for legal reasons)
              | ten Vergesellschaftungen mit großer Mobilität dazu, zunehmend für die Auflösung von
              | Sozialbeziehungen und abnehmend für deren interne Regulierung mobilisiert zu wer­
              | den.
blank         | 
              | 
text          | Literaturverzeichnis
blank         | 
bib           | Baumgärtei, Gottfried, 1976: Gleicher Zugang zum Recht für alle. Köln.
              | Bender, Rolf und Rolf Schumacher, 1980: Erfolgsbarrieren vor Gericht. Tübingen.
              | Black, Donald, 1973: The Mobilization of Law, in: Journal of Legal Studies 2.
              | Blankenburg, Erhard/Blankenburg, Viola/Morasch, Helmut, 1972: Der lange Weg in die Berufung,
              | in: Bender, Rolf (Hrsg.): Tatsachenforschung in der Justiz. Tübingen.
              | Blankenburg, Erhard, 1976: Nichtkriminalisierung als Struktur und Routine, in: Göppinger,
              | Hans und Günter Kaiser: Kriminologie und Strafverfahren. Stuttgart.
              | Blankenburg, Erhard/Sessar, Klaus/Steffen, Wiebke, 1978: Die Staatsanwaltschaft im Prozeß straf­
              | rechtlicher Sozialkontrolle. Berlin.
              | Blankenburg, Erhard; Schönholz, Siegfried, unter Mitarbeit von Ralf Rogowski, 1979: Zur Sozio­
              | logie des Arbeitsgerichtsverfahrens. Neuwied und Darmstadt.
blank         | 
              | 
              | 
ref           | 36   Für eine überaus positive Bewertung des .Vermeidens1 vgl. Felstiner und Danzig/Lowy in Law
              | and Society Review, vol. 9, 1974/75.
meta          | 64                                     Erhard Blankenburg
blank         | 
bib           | Blankenburg, Erhard, 1980: Recht als gradualisiertes Konzept, in: Blankenburg, Erhard; Klausa,
              | Ekkehard und Hubert Rottleuthner (Hrsg.): Alternative Rechtsformen und Alternativen zum
              | Recht, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 6. Opladen.
              | Carlin, Jerome-, Jan Howard und Sheldon Messinger, 1967: Civil Justice and the Poor. New York.
              | Danzig, Richard/Lowy, Michael, 1974/75; Everday Disputes and Mediation in the United States:
              | A Reply to Professor Felstiner, Law and Society Review, vol. 9, pp. 675—694.
              | Feest, Johannes/Blankenburg, Erhard, 1972: Die Definitionsmacht der Polizei. Düsseldorf.
              | Felstiner, William L. F., 1974/75: Influences of Social Organization on Dispute processing, in:
              | Law and Society Review, vol. 9, pp. 63—94.
              | Felstiner, William L. F., 1974/75: Avoidance as Dispute Processing: An Elaboration, in: Law and
              | Society Review, vol. 9, pp. 695-706.
              | Galanter, Marc, 1974: Why the ,Haves* Come out Ahead: Speculations on the Limits of Legal
              | Change, in: Law and Society Review, vol. 9, pp. 95—160.
              | Geiger, Theodor, 1964: Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts. Neuwied.
              | Gessner, Volkmar, 1976: Recht und Konflikt. Tübingen.
              | Hilden, Hartmut, 1976: Rechtstatsachen im Räumungsstreit. Frankfurt/Main.
              | Johnson, Earl, 1979; Thinking about Access: A Preliminary Typology of Possible Strategies. In:
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