title | Mobilisierung von Recht* blank | title | Über die Wahrscheinlichkeit des Gangs zum Gericht, die Chance des Erfolgs | und die daraus folgenden Funktionen der Justiz blank | author | Erhard Blankenburg blank | | | | abstract | Zusammenfassung: Auch wenn es rechtliche Regeln für viele unserer sozialen Beziehungen gibt, ist | es doch unwahrscheinlich, daß man sich in alltäglichen Sozialbeziehungen auf diese beruft. Bei den | meisten Konflikten sind soziale Lösungsversuche die Regel, das Einholen von Rechtsrat und das | Anrufen von Gerichten die Ausnahme. Wahrscheinlicher wird die Mobilisierung von Recht und | Gerichten mit größerer sozialer Distanz wie etwa in einmaligen und anonymen Sozialbeziehungen. | Für den einzelnen unvermeidbar ist sic dort, wo der Konfliktgegner seinerseits Recht mobilisiert. | Jedoch wird auch nach Beschreiten des Rechtswegs immer noch die Mehrzahl aller Prozesse durch | außergerichtliche Einigung oder gerichtlichen Vergleich beendet. Empirische Daten zeigen, daß | die Chance von rechtlichen oder alternativen Lösungswegen, die Kompromißwilligkeit oder Hart | näckigkeit der Parteien und der Erfolg eines Klägers weitgehend von der Konfliktkonstellation des | jeweiligen Streitgegenstandes abhängig ist. blank | abstract | Summary: As long as there is no third party surveilling obedience to legal norms, it is up to the | parties to invoke law for themselves. But in many situations which are legally relevant, those | involved do not mobilize lawyers and courts. The likelihood of legal action increases with social | distance among the (potential) parties, especially in single event relations and in relations with | strangers. The paper demonstrates empirically that in the majority of cases those involved look for | informal ways of resolving conflicts, it shows in which areas they use quasi-legal institutions, and | under which rare circumstances they go to court. Even here giving in or settling the conflict is more | frequent than a judicial decision. Whether parties find a compromise and which are their chances | of success varies with the issue at stäke. blank | | | text | 1. Modelle rechtlicher Normen blank | text | Für Soziologen in der Tradition Geigers ist die Wirksamkeit von Recht erst an den | Fällen der Nichteinhaltung erkennbar, daran, daß seine Normen nicht befolgt werden | (text omitted for legal reasons) | versicherung in Zusammenarbeit mit Jann Fiedler und zur Arbeitsgerichtsbarkeit mit Siegfried | Schönholz und Ralf Rogowski entstanden. Ihnen danke ich für vielfältige Anregung und Kritik. blank | meta | Zeitschrift für Rechtssoziologie 1 (1980), Heft 1, S. 33-64 © Westdeutscher Verlag, Opladen | 34 Erhard Blankenburg blank | text | deshalb seinen Begriff von ,Recht* daran fest» ob im Falle seiner Nichtbefolgung eine | Sanktion erfolgt1. Nicht die Einhaltung der Norm belegt ihre Geltung, sondern die | (text omitted for legal reasons) | Diebstahl von oder aus Kraftfahrzeugen, noch extremer bei Diebstahl von Fahrrä | dern oder Mopeds. In solchen Fällen erfolgt eine Anzeige bei der Polizei oft nicht, um blank | ref | 1 Geiger 1964, insbesondere S. 65—83. | 2 Vgl. Feest/Blankenburg, 1972. Die Konsequenz einer größeren Dunkelziffer bei den von der | Polizei selbst entdeckten Straftaten entwickle ich ausführlicher in meinem Beitrag über | ,Nichtkriminalisierung als Struktur und Routine', 1976. | 3 Angaben aus einer Befragung von Peter MacNaughton-Smith und Richard Rosellen zur .Be | reitschaft zur Anzeigeerstattung' Manuskript Max-Planck-Institut für Strafrecht, Freiburg | 1978. Der ausführliche Forschungsbericht von Richard Rosellen erscheint in Kürze unter dem | Titel .Private Verbrechenskontrolle — eine empirische Untersuchung zur Anzeigeerstattung', | Berlin, voraussichtlich 1980. | Mobilisierung von Recht 35 blank | text | den Prozeß der Sanktionierung und damit Effektivierung von Recht in Gang zu setzen, | sondern lediglich um die bürokratischen Voraussetzungen für den Anspruch bei einer | (text omitted for legal reasons) | diese das Modell der autoritativen Normsetzung mit dem der Regelung von Sozialbe | ziehungen durch Vertragsnormen. blank | ref | 4 Vgl. Blankenburg/Sessar/S reffen, 1978, S. 66-85. | 5 Black 1973, S. 125 ff. meta | 36 Erhard Blankenburg blank | text | Im Rahmen juristischer Analysen wird an die Wirksamkeit solcher Normen die Frage | gestellt, wie weit die zuständigen Gerichte in ihrer Spruchpraxis solche Schutzrechte | (text omitted for legal reasons) | licher und komplexer eine Sozialbeziehung ist und je mehr die Beteiligten ein Interesse | an ihrer Aufrechterhaltung haben6. Gerichte können in solchen Fällen allenfalls die blank | | ref | 6 Zur höheren Wahrscheinlichkeit der Normierung von Verhalten in weniger komplexen Bezie | hungen vgl. die Konflikttheorie von Gessner 1976, insbesondere S. 170—183. meta | Mobilisierung von Recht 37 blank | text | Bedingungen des Abbruchs von Sozialbeziehungen bestimmen, kaum jedoch deren | fortlaufende Interaktion regeln. Höher ist die Wahrscheinlichkeit des Anrufens von | (text omitted for legal reasons) | Überzeugung, und meist in der Situation auch nicht die der Vermeidung. Nicht sehr | weit davon entfernt sind die Situationen, in denen man von einem Vermieter, Verkäu blank | ref | 7 Zum Konzept der .Thematisierung von Recht* vgl. Luhmann 1980, S. 99—112. meta | 38 Erhard Blankenburg blank | text | fer oder Arbeitgeber unter Hinweis auf rechtliche Sanktionen zur Zahlung oder zu be | stimmtem Verhalten aufgefordert wird. Auch hier ist die Situation von dem Gegner | (text omitted for legal reasons) | scheinlichkeit, mit der diese explizit gemacht wird. Nützlich ist für die Beurteilung die | ser Wahrscheinlichkeit die Unterscheidung von Konfliktsituationen in: blank | text | — laufenden, persönlichen Sozialbeziehungen; | — gelegentlichen oder anonymen Sozialbeziehungen, die möglicherweise erst aufgrund eines — | meist einmaligen — Ereignisses als Konfliktbeziehung entstehen. blank | | | | ref | 8 Ausführlicher bei Gessner 1976 meta | Mobilisierung von Recht 39 blank | text | Selbstverständlich gibt es zwischen diesen beiden als Extremtypen viele Übergänge von | .Gelegenheitsbeziehungen4, die sich zu dauerhaften entwicklen, oder von persönlichen | (text omitted for legal reasons) | gegebenenfalls Einschaltung des Betriebsrats usw.); | ~~ die Klage vor dem Arbeitsgericht. ref | 9 Vgl. Schönholz 1980. meta | 40 Erhard Blankenburg blank | text | Im arbeitsrechtlichen Konflikt kann also der Arbeitgeber mit der Kündigung Fakten | schaffen, auf die dann der Arbeitnehmer mit dem Gang zum Gericht antworten muß. | (text omitted for legal reasons) | beim Eheverhältnis: hier besteht ein Rechtszwang, das heißt selbst bei einverständ | licher Trennung kann nur das Gericht diese zu einer rechtskräftigen Scheidung blank | | ref | 10 Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 64 ff. | 11 Hilden 1976, S. 64 ff. | 12 Koch 1975, S. 75, der allerdings nur streitige Urteile und Vergleiche untersucht hat. | Mobilisierung von Recht 41 blank | text | machen. Dem Gang zum Gericht kann ein langer Prozeß der Zerrüttung vorausgehen, | innerhalb dessen die Drohung mit rechtlichen Mitteln immer schon eine Drohung mit | (text omitted for legal reasons) | flikte innerhalb eines fortdauernden Arbeitsverhältnisses regeln14.) Im Mietverhält | nis ist der Anteil von Klagen innerhalb einer fortdauernden Beziehung größer15. Hier blank | | ref | 13 Für Angaben der Zählkartenstatistik für die Familiengerichte siehe: Statistisches Bundesamt | Wiesbaden, Fachserie 10 (Rechtspflege) Reihe 2.1, Tabelle 10, Wiesbaden 1978. | 14 Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 78 ff. | 15 Steinbach 1979 hat in einer Erhebung von 1144 Amtsgerichtsprozessen in der Bundesrepublik | ohne Berlin in den Jahren 1974—1976 ein Verhältnis von 1 Räumungsklage je 1,2 Forderungs | klagen, in Berlin allerdings von 1 Räumungsklage je 0,12 Forderungsklagen ermittelt. Im fol | genden auch als GMD-Erhebung zitiert. meta | 42 Erhard Blankenburg blank | text | wie beim Arbeitsgericht steigt die Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Auseinander | setzung innerhalb fortbestehender Sozialbeziehungen mit deren Anonymität: in Klein | (text omitted for legal reasons) | Anwälten und den .Parteien hinter den Parteien*, den Gang des Prozesses zu bestim | men. Nur wenn es um einen versicherungsmäßig nicht gedeckten Eigenschaden oder | Mobilisierung von Recht 43 blank | text | um die Höhe der Entschädigung bei Personenverletzungen geht, haben die Parteien | ein besonderes Interesse am Ausgang des Prozesses. Ansonsten können die Betei | (text omitted for legal reasons) | auf die andere Seite geschoben werden: etwa, wenn der Rest des Kaufpreises oder die | Entlohnung (im Falle eines Werkvertrages) teilweise vorcnthalten wird. Auch hier gilt, blank | | ref | 16 Johnson 1979 berichtet von dem erfolgreichen Versuch einer Unfall-Schadensregulierung | ohne Berücksichtigung einer Schuldzuschreibung in Neuseeland (no fault accident compensa- | tion), S. 90 ff. meta | 44 Erhard Blankenburg blank | text | daß die Mobilisierung von Recht jeweils demjenigen zugemutet wird, der Leistungen | vom anderen einfordern muß: wer im physischen Besitz einer Sache ist, sei dies ein | (text omitted for legal reasons) | Vorteil. So kommt es, daß bei Kaufverträgen überwiegend (zu 73 %) Firmen als Kläger | auftreten, nur zu 3 % klagt ein Privater gegen eine Firma17. blank | | text | Tabelle 1. Verteilung der Parteienkonstellation bei Prozessen um Kaufverträge am Amtsgericht blank | text | Kläger Beklagter | Privatperson Firma | Privatperson 24 % 3% 27% | Firma 54% 19% 73 % | 78 % 22% 100% blank | | text | Quelle: GMD-Erhebung, Repräsentativ für Amtsgerichte BRD, 1976. blank | | | text | 2.1.3 Gegenwehr gegen rechtliche Schritte anderer blank | text | Nicht immer ist die Entscheidung über die Thematisierung von Recht einem selbst | überlassen. Häufig wird map mit einem vollendeten Schritt zur Mobilisierung von blank | | ref | 17 Steinbach 1979, S. 66 ff.; Blankenburg/Blankenburg/Morasch 1972, S. 82 ff. meta | Mobilisierung von Recht 45 blank | text | Recht durch den anderen konfrontiert. Wie wir gesehen haben, kann dies letztlich auf | eigenes Verhalten zurückzuführen sein, aber bei vielen Herausforderungen bleibt zu | (text omitted for legal reasons) | auf den Umgang mit Behörden jeweils eine Liste von Konflikten vorgelegt, die zwar | von Geringfügigkeiten bis zu existenziell wichtigen Problemsituationen reichten, die blank | | | | ref | 18 Projektbericht ,Rechtshilfebedürfnisse sozial Schwacher*, (Blankenburg/Gorges/Reifner; | Ticmann). Befragt wurden im Januar bis März 1979 je eine Person in 835 Haushalten West | berlins. Veröffentlichung ist vorgesehen für Ende 1980. meta | 46 Erhard Blankenburg blank | text | man unabhängig davon jedoch alle als Rechtsfälle behandeln könnte. In jedem der | Bereiche berichteten etwa zwei Drittel der Befragten aus ihrer Erfahrung in den | (text omitted for legal reasons) | als auch individuell vertreten. Mietvereine ebenso wie Gewerkschaften üben Schlich- | Tabelle 2: Rechtliche und außerrecbtlicbe Lösungsversuche bei Problemen in vier Bereichen blank | text | Es haben Probleme genannt davon haben: blank | text | eine Beratung | aufgesucht | nichts Kontakt mit darunter: einen Ge beim nächsten blank | | | | text | Mobilisierung von Recht | unternommen Gegener .mit Erfolg* Allg. Rechts richtspro Mal würden vor | N nachgegeben aufgenommen sich geeinigt Beratung Beratung zeß geführt Gericht gehen | — mit Behörden 502 42% persönlich: 29 % 4% 1 % 8% 3% 13 % | förmlich: 26 % | — als Verbraucher 518 26% 49% 16% 6% 12 % 2% 13 % | — als Mieter 543 23 % 48% 13 % 27 % 11 % 3% 7% | — als Arbeitnehmer 369 24% persönlich 15 % 5% 7% 10% | geeinigt 22% | betriebliche In | stanzen ange | rufen 43 % blank | ref | Quelle: Eigene Befragung in West-Berlin 1979, Zu falls auswähl aus allen Haushalten mit Deutschen. | Mehrfachnennungen, % jeweils bezogen auf Personen, die im jeweiligen Bereich ein Problem nennen. meta | 48 Erhard Blankenburg blank | text | tungsfunktionen aus, die rechtliche Auseinandersetzungen vermeiden, und sie bieten | auch Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht für die individuelle Rechtsdurch | setzung an. Daß 15 % bzw. 27 % der Befragten solche Beratungsstellen aufgesucht | (text omitted for legal reasons) | vationsbarrieren und Schwellen, die vor dem Zugang zu Gericht, oder auch zu einer | Rechtsberatung liegen. Viel ist darüber geschrieben worden, daß solche Barrieren meta | Mobilisierung von Recht 49 blank | text | desto besser zu überwinden sind, je höher die Schulbildung ist, je mehr Kontakt zum | Recht und auch zu Rechtsanwälten besteht und daß, da das Angebot von Rechtsbera | (text omitted for legal reasons) | affektiven Momenten überlagert sein (,Dem zeige ich es, gleich, was es koste4), jedoch | sollte man hier bei Unterstellung eines rationalen Kalküls erwarten, daß die Fortnahme blank | | ref | 19 Explizit bei Baumgärtei 1976, S. 113-128. | 20 Laut einer GMD-Erhebung aus der Zählkartenstatistik wurde in Baden-Württemberg 1978 in text | 25,6 % aller Scheidungssachen vor dem Familiengericht Armenrecht beantragt, 35,6 % bei | Unterhaltsklagen. 1976 (nach alten Familien recht) sind die Anteile 14,2 % bei den Schei | dungsprozessen und 42,79 % bei den Unterhaltsklagen. Zum Vergleich: Bei Mietsachen wird | in etwa 2 % das Armenrecht beantragt (GMD-Erhebung), bei Zivilprozessen vor dem Amts | gericht insgesamt (laut Zählkartenstatistik) 0,4 % (mündliche Mitteilung von Jörg Dotter | weich). ref | 21 Projektbericht .Rechtsschutzversicherung* (Blankenburg; Fiedler), Veröffentlichung voraus | sichtlich Mitte 1980. meta | 50 Erhard Blankenburg blank | text | des finanziellen Kostenrisikos durch die Rechtsschutzversicherung die Prozeßwahr | scheinlichkeit erhöht. | (text omitted for legal reasons) | durch eine Versicherung erhöht also in erster Linie im Bereich der anonymen Sozial | beziehungen die Wahrscheinlichkeit der Mobilisierung von Recht. In anderen Rollen- blank | | text | Tabelle 3: Kontakte mit Gerichten/Anwälten und Rechtsschutzversicherung blank | | | text | Quelle: Eigene Befragung in Berlin (West) 1979, Zufallsauswahl aus allen Haushalten mit Deut | schen. meta | Mobilisierung von Recht 51 blank | text | bereichen etwa als Verbraucher, als Mieter oder als Arbeitnehmer beobachten wir bei | Rechtsschutzversicherten zwar auch eine höhere Inanspruchnahme von Rechtsanwäl | (text omitted for legal reasons) | Recht: dort wo bestehende Rechtsansprüche bislang überwiegend im Dunkelfeld der | Nicht-Inanspruchnahme verblieben sind, entstehen mit zunehmender Mobilisierung blank | ref | 22 Vgl. auch Reifner/Gorges 1980. | 23 Reifner 1979. meta | 52 Erhard Blankenburg blank | | text | für die Rechtsdogmatik neuartige Fragestellungen, die sowohl Rechtsprechung als | auch Rechtsetzung in Bewegung setzen können. Aus diesem Grund kann man erwar | (text omitted for legal reasons) | schwacher Position einen Prozeßerfolg zu erreichen hofft. Die wenigen empirischen | Arbeiten zum Prozeßverhalten, die es bislang gibt, zeigen die Überlegenheit von Par blank | ref | 24 Klassisch bei Carlin/Howard/Messinger 1967. meta | Mobilisierung von Recht 53 blank | | text | teien, die häufig vor Gericht stehen und die damit ihre Verfahrensmöglichkeiten fak | tisch geschickter einsetzen und ihre Gewinnchancen besser kalkulieren können25. | Je größer die Ungleichheit dieser Kompetenz zwischen den Parteien, desto wahrschein | (text omitted for legal reasons) | hat der Kläger die Forderung aufgegeben26. | Hinter den vorzeitigen Erledigungen verbergen sich also Aushandlungsprozesse, in | denen die Tatsache der gerichtlichen Klage ein Signal der Klägerpartei bedeutet, daß blank | ref | 25 Grundsätzlich vgl. hierzu den klassischen Beitrag von Galanter 1974, S. 95—160. Die grös | seren Chancen von Firmen, insbesondere bei der großen Zahl von vorstreitigen Erledigungen | zeigt Sarat 1976, S. 339-375. | 26 Bender/Schumachcr 1980, S. 138. meta | 54 Erhard Blankenburg blank | text | Tabelle 4: Ausgang von Prozessen vor verschiedenen Gerichten blank | | | text | Quellen: 1 GMD-Erhebung, Amtsgerichte BRD 1971 | 2 Eigene Erhebung, Arbeitsgericht Berlin, Gerichtsregister 1976 | 3 Zählkarten-Statistik, Statist. Bundesamt: Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 2, 1 (Zi | vilgerichte), 1971 und 1978 blank | | text | sie auch vor einer Mobilisierung der Gerichte nicht zurückschreckt. Allein diese Dro | hung genügt häufig, um den Konflikt beizulegen. Auffällig ist, daß solche Erledigungen | (text omitted for legal reasons) | Vergleichshäufigkeit ist hier (genau umgekehrt zum Verkehrsprozeß) eine Folge der | eindeutigen Rechtsposition der Kläger(innen). Bei Mietforderungen läßt sich aus der blank | | text | Tabelle 5: Erfolg des Klägers im Zivilgericbt vor dem Amtsgericht nach Prozeßgegenstand blank | text | Voller Voller Erfolg | Gesamterfolg (alle im streitigen | Erledigungsarten) Urteil | Zivilprozessc um private Schulden1 | (alle Kläger) 64 % 48% | Zivilprozesse um private Schulden1 | (nur natürliche Personen als Kläger) 46 % 36% | Zivilprozesse nach Verkehrsunfall2 23 % 19 % | Unterhaltsforderungen, Kindschaftssachen 67 % 64% | Mietprozesse2 — Räumungsklagen 88% 65 % | — sonstige Mietprozesse 44% 41 % blank | text | Erfolg des Klägers vordem Arbeitsgericht3 blank | text | Gesamterfolg mit streitiges | bzw. ohne Vergleich4 Urteil | Kündigungsklagen 69 bzw. 19 49% | Klagen wegen Arbeits- oder Urlaubsentgelt 78 bzw. 41 65 % blank | | text | Quellen: 1 Bender/Schumacher, Amtsgericht Stuttgart | 2 GMD-Erhebung, Amtsgerichte BRD 1971 | 3 Eigene Erhebung, Arbeitsgericht Berlin, Gerichtsregister 1976. | 4 .Erfolg* wurde an den Zivilgerichten durchgehend gemäß dem Kostenbeschluß des | Gerichtes operationalisiert, beim Arbeitsgericht wurde die Eintragung in die Regi | sterbücher über .Gesamterfolg* übernommen. Dies schließt bei Kündigungsklagen | auch die Festsetzung einer Abfindung für den Kläger ein. Entsprechend kann man | hier alle Vergleiche ebenso als Erfolg werten (d. h. man unterstellt, daß Kündigungs | kläger den Anspruch auf Wiedereinstellung nur formal verfolgen). Macht man diese | Unterstellung nicht, müßte man die Vergleiche vor dem Arbeitsgericht — analog | der Operationalisierung beim Zivilgericht — als Teilerfolg, also nicht als vollen Ge | samte rfolg einstufen. blank | | | ref | 27 Steinbach 1979, S. 96 ff, vgl. auch Blankenburg/Blankenburg/Morasch 1972, S. 89, Fn. 17, meta | 56 Erhard Blankenburg blank | text | Literatur keine Erklärung für die Hartnäckigkeit der Parteien bis zum streitigen Urteil | belegen: die Vermutung liegt nahe, daß ähnlich wie bei Arbeitsgerichtsprozessen aus | (text omitted for legal reasons) | der Hälfte der Scheidungsfälle lediglich in seiner notariellen Funktion bemüht, um die | zwischen den Parteien erreichte Konvention mit Rechtskraft zu versehen. blank | | ref | 28 Reifner 1978. | 29 Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 102 ff. meta | Mobilisierung von Recht 57 blank | text | Ebenso wie den Selektionsprozeß vor der Bemühung von Gerichten kann man auch | das Verfahren selbst als einen Filter darstellen, der eine Vielzahl von Beilegungsmög | (text omitted for legal reasons) | ten sowohl im streitigen Urteil als auch insgesamt ein wenig häufiger als die Kläger. | Wenn man nach einem Streitgegenstand sucht, bei dem das Gerichtsverfahren einem blank | | ref | 30 Vgl. zum .Verrechtlichungs’begriff meinen Beitrag über: Recht als gradualisiertes Konzept | 1980, S. 83—98. | 31 Steinbach 1979, S. 35; Bender/Schumacher 1980, S. 24 und S. 49. | 32 Wanner 1975, S. 293—306 hebt dies deutlich hervor, ebenso Bender/Schumacher 1980, S. | 72 ff.; sowie Galanter 1974; Sarat 1976. meta | 58 Erhard Blankenburg blank | text | Lotteriespiel gleicht, dann kommt die Auseinandersetzung nach einem Verkehrsun | fall diesem Modell am nächsten. | Unterhaltsprozesse und Räumungsklagen dagegen weisen sowohl bei den vorzeitigen | Erledigungen wie im streitigen Urteil höhere Klägererfolge auf. Hier hat der Gerichts | (text omitted for legal reasons) | zuzumuten, der die Sozialbeziehung auflösen will, schützt zwar prinzipiell die Sozial | beziehung, hebt jedoch nicht die Möglichkeit des sozial Stärkeren auf, eine solche Auf | lösung mit Hilfe des Rechts durchzusetzen. blank | | text | 2.3 Prozeßausgang, Erfolgswahrscheinlichkeit und die Funktionen der Gerichte blank | text | Ausgang und Erfolgswahrscheinlichkeit von Gerichtsprozessen lassen sich nur schwer | kausal erklären, da sie selbst reflexiven Mechanismen unterliegen. Auch die Beteilig blank | ref | 33 Blankenburg/Schönholz; Rogowski 1979, S. 78 ff. meta | Mobilisierung von Recht 59 blank | text | ten, vor allem die prozeßerfahrenen und die Rechtsanwälte antizipieren ihre Erfolgs | aussichten und sie können entsprechend ihrer Einschätzung der Rechtslage und ihrer | Erfahrung mit Verfahrensabläufen einschätzen, ob sich eine Klage lohnt oder nicht. | (text omitted for legal reasons) | nur fingiert, da das Verfahren hier in intime Erfahrungsbereiche hineinreicht; vor dem | Arbeitsgericht dagegen kommen Sozialbeziehungen zur Sprache, die leichter vor Drit | ten ausgetragen und öffentlich behandelt werden können. Hier hat daher typisch der meta | 60 Erhard Blankenburg blank | text | Richter die größte Chance, in seiner Funktion als Vermittler aufzutreten. Vereinfacht | kann man aus den beiden Dichotomien: der eindeutigen oder unsicheren Vorherseh | barkeit der Rechtslage und der Einverständlichkeit oder Strittigkeit zwischen den Par | teien ein Vierfelderschema aufstellen, dem grundsätzliche Typen von Gerichtsfunktio | nen entsprechen: blank | | text | Tabelle 6; Funktionen von Gerichtsprozessen für die Parteien blank | text | Vorhersehbarkeit des Verfahrensausgangs | sicher unsicher | Prozeßziel einverständlich Quasi-notarielle Funktion Vermittelnde Funktion | der Parteien strittig Rechtsdruchsetzungsfunktion Entscheidungsfunktion blank | | | | text | Allen vier Funktionen kann man bestimmte Streitgegenstände typologisch zuordnen, | jedoch können sie alle grundsätzlich in jedem Gerichtsverfahren auftreten. Beobach | tungen von Verfahrensabläufen zeigen34, daß Richter in ihrem Roll en verhalten typisch | zwischen diesen Funktionen hin- und herwechseln, wobei sie einmal die Unsicherheit | (text omitted for legal reasons) | alleine der Richter als Entscheider. Auf diese Funktion bezieht sich auch die These der | »Legitimation durch Verfahren', die in der Verstrickung der Parteien in eine verfah | rensmäßig geregelte Auseinandersetzung eine Chance der Akzeptanz von Rechtsent blank | | ref | 34 Ebenda, S. 138-186. meta | Mobilisierung von Recht 61 blank | text | Scheidungen sieht35. Allerdings bezieht sich eine solche Theorie nur auf einen geringen | Teil der Fälle, die vor Gericht abgehandelt werden. Betrachtet man den Geschäftsan | fall vor allem der erstinstanzlichen Gerichte, dann ist der einseitige Gebrauch von | Recht zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Willen anderer die am häufigsten | (text omitted for legal reasons) | daß die (potentiellen) Parteien in Gerichtsprozessen die Chancen ihres Erfolges antizi | pieren können und daß sie die Möglichkeiten wahrnehmen, aus der Eskalation von blank | ref | 35 Luhmann 1969. text | O\ blank | | | | text | Erklärungsmodell der Variablen für die Mobilisierung von Recht blank | | | | text | Erhard Blankenburg | Mobilisierung von Recht 63 blank | text | weiterer Verrechtlichung „auszusteigen“. Das Modell von Variablen, von denen „The | matisierung von Recht“ und „Mobilisierung von Gerichten“ abhängen, mag ihnen | (text omitted for legal reasons) | ten Vergesellschaftungen mit großer Mobilität dazu, zunehmend für die Auflösung von | Sozialbeziehungen und abnehmend für deren interne Regulierung mobilisiert zu wer | den. blank | | text | Literaturverzeichnis blank | bib | Baumgärtei, Gottfried, 1976: Gleicher Zugang zum Recht für alle. Köln. | Bender, Rolf und Rolf Schumacher, 1980: Erfolgsbarrieren vor Gericht. Tübingen. | Black, Donald, 1973: The Mobilization of Law, in: Journal of Legal Studies 2. | Blankenburg, Erhard/Blankenburg, Viola/Morasch, Helmut, 1972: Der lange Weg in die Berufung, | in: Bender, Rolf (Hrsg.): Tatsachenforschung in der Justiz. Tübingen. | Blankenburg, Erhard, 1976: Nichtkriminalisierung als Struktur und Routine, in: Göppinger, | Hans und Günter Kaiser: Kriminologie und Strafverfahren. Stuttgart. | Blankenburg, Erhard/Sessar, Klaus/Steffen, Wiebke, 1978: Die Staatsanwaltschaft im Prozeß straf | rechtlicher Sozialkontrolle. Berlin. | Blankenburg, Erhard; Schönholz, Siegfried, unter Mitarbeit von Ralf Rogowski, 1979: Zur Sozio | logie des Arbeitsgerichtsverfahrens. Neuwied und Darmstadt. blank | | | ref | 36 Für eine überaus positive Bewertung des .Vermeidens1 vgl. Felstiner und Danzig/Lowy in Law | and Society Review, vol. 9, 1974/75. meta | 64 Erhard Blankenburg blank | bib | Blankenburg, Erhard, 1980: Recht als gradualisiertes Konzept, in: Blankenburg, Erhard; Klausa, | Ekkehard und Hubert Rottleuthner (Hrsg.): Alternative Rechtsformen und Alternativen zum | Recht, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 6. Opladen. | Carlin, Jerome-, Jan Howard und Sheldon Messinger, 1967: Civil Justice and the Poor. New York. | Danzig, Richard/Lowy, Michael, 1974/75; Everday Disputes and Mediation in the United States: | A Reply to Professor Felstiner, Law and Society Review, vol. 9, pp. 675—694. | Feest, Johannes/Blankenburg, Erhard, 1972: Die Definitionsmacht der Polizei. Düsseldorf. | Felstiner, William L. F., 1974/75: Influences of Social Organization on Dispute processing, in: | Law and Society Review, vol. 9, pp. 63—94. | Felstiner, William L. F., 1974/75: Avoidance as Dispute Processing: An Elaboration, in: Law and | Society Review, vol. 9, pp. 695-706. | Galanter, Marc, 1974: Why the ,Haves* Come out Ahead: Speculations on the Limits of Legal | Change, in: Law and Society Review, vol. 9, pp. 95—160. | Geiger, Theodor, 1964: Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts. Neuwied. | Gessner, Volkmar, 1976: Recht und Konflikt. Tübingen. | Hilden, Hartmut, 1976: Rechtstatsachen im Räumungsstreit. Frankfurt/Main. | Johnson, Earl, 1979; Thinking about Access: A Preliminary Typology of Possible Strategies. In: | Cappelletti, Mauro und Bryant Garth (Hrsg.): Access to Justice, Bd. III. Milan und Alphen/ | Rijn. | Koch, Hartmut, 1975: Das Gerichtsverfahren als Konfliktlösungsprozeß — Einstellung von Klä | gern und Beklagten zu Mietprozessen. Diss. Hamburg. | Luhmann, Niklas, 1969: Legitimation durch Verfahren. Neuwied und Darmstadt. | Luhmann, Niklas, 1980: Kommunikation über Recht in Interaktionssystemen, in: Blankenburg, | Erhard; Klausa, Ekkehard und Hubert Rottleuthner (Hrsg.): Alternative Rechtsformen und | Alternativen zum Recht, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 6. Opladen. | Reifner, Udo, 1978: Rechtshilfebedürfnis und Verrechtlichung am Beispiel einer Berliner Mieter | initiative, Wissenschaftszentrum Berlin, IIM-dp/78—70. | Reifner, Udo, 1979: Gewerkschaftlicher Rechtsschutz — Geschichte des freigewerkschaftlichen | Rechtsschutzes und der Rechtsberatung der Deutschen Arbeitsfront von 1894—1945. Wissen | schaftszentrum Berlin IIM-dp/79—104. | Reifner, Udo und Irmela Gorges, 1980; Alternativen der Rechtsberatung: Dienstleistung, Für | sorge und kollektive Selbsthilfe, in: Blankenburg, Erhard; Klausa, Ekkehard und Hubert Rott | leuthner (Hrsg.): Alternative Rechtsformen und Alternativen zum Recht, Jahrbuch für Rechts | soziologie und Rechtstheorie Bd. 6. Opladen. | Sarat, Austin, 1976: Alternatives in Dispute Processing in a Small Claim Court, in: Law and Socie | ty Review, vol. 10, pp. 339—375. | Schönholz, Siegfried, 1980: Arbeitsplatzsicherung oder Kompensation - Rechtliche Formen des | Bestandsschutzes im Vergleich in: Vereinigung für Rechtssoziologie (Hrsg.): Arbeitslosigkeit | und Recht. Baden-Baden. | Steinbach, E., 1979: GMD-Bericht, Manuskript. Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbei | tung. Birlinghoven bei Bonn. | Wanner, Craig, 1975: The Public Ordering of Private Cases; Winning Civil Court Cases, in: Law and | Society Review, vol. 9, pp. 293-306.